Oktober 2022 AcademyConsultingCoaching

Unfehlbar – Gibt es Fehlentscheidungen?

In Zeiten der Krise ist der Druck auf Entscheider:innen groß. Der Zugzwang erhöht sich, die Diskussionen sind hitzig und der Aktionismus boomt. Es muss jetzt eine Entscheidung her! Oder gleich eine ganze Reihe. Genauso intensiv wie der Zwang vor der Entscheidung ist aber das Buhen danach, sollte es nicht zum gewünschten Ergebnis kommen. Schuld daran ist natürlich die Entscheidung und damit der/die Entscheider:in.

 

„Es war eine klare Fehlentscheidung und man hätte es doch besser wissen müssen!“

Wenn nach einer Entscheidung nicht das eintritt, was erhofft war, war die Entscheidung natürlich ein Fehler bzw. die Entscheidung ist schuld am fehlenden Erfolg. Eine logisch scheinende Verknüpfung, die angebliche Kausalität fällt einem gerade so in den Schoß. Oder?

 

Wir würden Nein sagen, denn der Schluss basiert eher auf zwei typischen Talenten von Menschen als auf Logik: Selbstbetrug und die Fähigkeit, Sündenböcke zu finden. Wir meinen das nicht moralisch, diese Fähigkeiten haben sich für uns Menschen schon häufig als funktional erwiesen und erfüllen ihre Zwecke seit Jahrtausenden, aber darum soll es nicht gehen. Viel mehr um die Fehlschlüsse hinter der „Fehlentscheidungs-Logik“.

 

Wenn wir einmal Entscheidungen betrachten, sind sie die essenzielle Kommunikationsform in sozialen Systemen und damit auch Unternehmen. Entscheidungen machen tatsächlich eine Organisation erst möglich, denn sie sorgen für eine Trennung zur Umwelt. Ein Unternehmen entscheidet sich auf einem Markt, mit einer Strategie ganz spezifisch zu agieren, das sind alles Entscheidungen aus einer unendlichen Anzahl von Optionen. Erst durch diese wird das Unternehmen als solches wahrnehmbar und erschafft sich durch einen kontinuierlichen Fluss solcher Entscheidungen selbst. Entscheidungen gehen letztendlich immer mit einem Maß an Unsicherheit einher. Trotz aller gründlichen Recherche und Vorbereitung kann man letztlich vorab nicht final wissen, welche Option besser als die andere ist. Es wird sich beispielsweise zeigen, ob oder welcher Markt in Zukunft wachsen wird. Und das ist auch ein zentrales Merkmal von Entscheidungen: Es gibt keine objektiv eindeutig beste Option.1 Wenn es diese gäbe, wäre es eine mathematische Berechnung mit anschließender Umsetzung und keine Entscheidung mehr. Denn was sollte es überhaupt zu entscheiden geben, wenn es eigentlich nur eine Wahlmöglichkeit gibt? Jede Entscheidung ist ein Wagnis und verwandelt von der Umwelt gelieferte Unsicherheit in eingegangenes Risiko, es sind kommunikative Verarbeitungsprozesse von Organisationen auf Informationen der Umwelt.2

 

Was bedeutet das jetzt für das Thema Fehlentscheidungen? Im Kern sind es drei Gruppen von Fehlschlüssen, die sich aus diesen Ausführungen ergeben:

 

  1. Zunächst sollte klar sein, dass wir als Beobachter Entscheidungen aus einer völlig anderen Perspektive bewerten als der/die Entscheider:in. Wir sind nicht involviert, sondern eher distanziert zur Entscheidung. Zusätzlich wird unsere Bewertung des Fehlers/Nicht-Fehlers allein dadurch möglich, dass die Zukunft des/der Entscheider:in unsere Vergangenheit oder Gegenwart ist. Dieser retrospektive Blick erzeugt erst die Einordnung – etwas, was dem/der Entscheider:in schlicht unmöglich war. Er oder sie war mit einer nicht kalkulierbaren oder berechenbaren Zukunft konfrontiert. Der Satz: „Im Nachhinein weiß man es immer besser“ trifft in diesem Kontext wie die Faust aufs Auge, nur dass man es nicht nur besser weiß, sondern faktisch erst im Nachhinein wissen kann. Es würde mehr Sinn machen, in diesem Fall von einem Missgeschick, einer Panne oder einem Irrtum als von einem Fehler zu reden, denn dieser setzt für uns die Fähigkeit voraus, abzuschätzen dass das eigene Verhalten „falsch“ ist bzw. nicht zum gewünschten Ergebnis führt.3
  2. Ein zweiter Punkt dafür, warum wir es uns mit dem Bewerten in Fehler oder Nicht-Fehler oft zu leicht machen, ist die angebliche Kausalität selbst. Diese ist nämlich keineswegs bewiesen oder überhaupt in realistischem Umfang beweisbar. Die Entscheidung muss nicht für die wahrgenommene Konsequenz verantwortlich sein. Die Entscheidung als intensiv wahrgenommener Referenzpunkt der Vergangenheit kommt natürlich gelegen, aber prinzipiell ist die Wirkungszuschreibung nur eine Vermutung. Die zirkulären und komplexen Wirkmechanismen in Organisationen und zwischen Organisation und Umwelt machen es praktisch unmöglich, im Einzelnen nachzuvollziehen, worauf das Ausbleiben der erhofften Konsequenz wirklich zurückzuführen ist.4
  3. Drittens ist das Treffen von Entscheidungen in der Wechselwirkung zur Umwelt dynamisch. Die Umwelt, welche erst durch die eigenen Impulse und Entscheidungen die Entscheidung im Unternehmen ausgelöst hat, reagiert wiederum auf die Entscheidungen im Unternehmen. Die Systeme und Organisationen der Umwelt verarbeiten hierfür ebenfalls auf eigene Art und Weise die Unternehmensentscheidung als Information. Und dann wirken sie mit ihrer Entscheidung wieder auf die Ursprungsorganisation zurück.5

 

Sie könnten nun den Eindruck gewinnen, dass wir bei cormens der Meinung sind, es gibt keine Fehler. Natürlich gibt es auch für uns Fehler. Allerdings sind Fehler klar von Entscheidungen zu trennen, denn wie bereits erwähnt, setzen Fehler das Wissen über eine Kausalität voraus. Wenn also ein/eine Mitarbeiter:in z.B. eine falsche Zahl in eine Software zur Berechnung einer Vertragskondition eintippt, ist das ein Fehler. Es war absehbar, dass das Eintippen der richtigen Zahl im Normalfall die einzige objektiv richtig Handlungsmöglichkeit gewesen wäre. Fehler sind also eher in Prozessen und Abläufen innerhalb der Organisation zu finden als auf der Metaebene oder im Kosmos der Entscheidungen:


„So wenig, wie man vorausberechnen kann, was passieren wird, so wenig kann man im Nachhinein Wirksamkeit einseitig zuordnen. Entscheidungsprozesse und ihre Konsequenzen sind nicht steuerbar und berechenbar. Selbst- und Fremdtäuschung liegen in der Luft, von denen sich alle Beteiligten häufig nur mit Enttäuschung, mit Loslassen trennen können.“6 


Im Buch – „Change-Happens“ – von Dr. Margret Klinkhammer, Franz Hütter, Dirk Stoess und Lothar Wüst, finden Sie noch weitere spannende Ausführungen dazu und insbesondere auch, welcher Entscheidungsheuristiken wir uns als Menschen bedienen. Diese sind einerseits enorm hilfreich, um überhaupt entscheiden zu können. Sie machen aber auch deutlich, wie anfällig wir für äußere Reize bei Entscheidungen sind und welche Risiken damit einhergehen.


Ebenso empfehlen wir wärmstens das Buch von Klaus Eidenschink & Ulrich Merkes – „Entscheidungen ohne Grund“. Dieses bietet eine tiefgreifende metatheoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Entscheidungen und ist gerade dadurch so enorm praxisrelevant.

Quellen:
 

 [1] Vgl. Eidenschink, K. & Merkes, U., (2021) Entscheidungen ohne Grund. Organisationen verstehen und beraten. Eine Metatheorie der Veränderung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 18.
 [2] Vgl. Ebda. 18ff

 [3] Vgl. Klinkhammer, M., Hütter, F., Stoess, D. & Wüst, L., (2018) Change Happens. Veränderungen gehirngerecht gestalten. 2. Auflage. Freiburg, München, Stuttgart: Haufe Group. 105f.
 [4] Vgl. Ebda. 106
 [5] Vgl. Ebda. 106
 [6] Ebda. 107

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