Unfrei - Die Sache mit der Freiheit und der Arbeit

"Die Antwort auf dynamische Märkte und stetige Krisen ist offensichtlich: hohe Eigenverantwortung und freie Entscheidungen!“
Dieser Satz ist Moritz Tränkle in einem Gespräch auf einer Kongress mit Berater-Kolleg:innen begegnet:
"Angesichts dieser Einschätzung begannen einige meiner Kolleg:inen um mich herum zustimmend zu nicken, und das aus gutem Grund. Bezogen auf viele Organisationen kann man diesem Satz erst einmal zustimmen, auch wenn es hier Ausnahmen gibt. Das Gesprächsthema änderte sich zwar schnell, aber dieser Moment blieb mir einige Wochen im Gedächtnis. Ich war überrascht, dass die Schattenseite dieses Gedankens völlig unkommentiert blieb, gelichzeitig konnte ich es mir gut erklären.
Die meisten Berater:innen sind von Natur aus freiheitsliebend, sonst wären sie wohl kaum selbständige und eigenverantwortliche Unternehmer:innen geworden. Es ist nachvollziehbar, dass diese Menschen häufig vergessen, dass Freiheit in der Arbeit bei Weitem nicht für alle Menschen erstrebenswert ist und auch für Organisationen schädlich sein kann.
Aber nicht wenige verbinden mit Eigenverantwortung, auf Grund früherer Erfahrungen, die Angst vor dem Versagen, dem Verlassenwerden und der Bestrafung.
Statt durch ein hohes Maß an Selbstbestimmung motivierter, flexibler und leistungsstärker zu werden, empfinden sie vor allem eins: Stress!
Aber für Organisationen ist Freiheit der Mitarbeiter:innen auch nur bis zu einem gewissen Punkt funktional. Falls jede:r losgelöst von Regeln und Strukturen entscheiden und kommunizieren könnte, wäre nichts mehr selbstverständlich. Es gäbe kein Fundament. Das Ergebnis wäre nicht frei, sondern chaotisch. Ich muss mich mit meinen Kolleg:innen auf gemeinsame Kommunikationswege einigen, um leistungsfähig zu sein. Ob das bewusst oder unbewusst geschieht, ist dabei unerheblich. Die gewonnene Freiheit ist auf Regulierung angewiesen, um nicht in chaotischen Zuständen unterzugehen. Freiheit ist also in sich paradox.
Jede Organisation sollte daher fortlaufend die Beschränkungen und Freiräume für ihre Mitarbeiter:innen reflektieren und anpassen."