November 2021 Consulting

beverage brewers (Teil I/III): Unzusammenhängend - Kultur ist Struktur.

„Was ist Euer Job?“ – „Geld verdienen.“

 

Diese Antwort bekam cormens in einem ersten Workshop mit Führungskräften von beverage brewers[1], einem mittelständischen Familienunternehmen. Aufgrund solcher Einstellungen ging es um Kulturentwicklung. Und da die Ausgangslage wenig Freiraum für großangelegte Veränderungen bot – ein Problem, das vielen mittelständischen Unternehmen bekannt sein wird – sollte es dabei auch bleiben. Wenige Kultur-Workshops später begann stattdessen eine vollumfängliche Umstrukturierung zu Selbstführung auf allen Ebenen, die bereits während der aktuell stattfindenden Umsetzung mehr Umsatz und Gewinn mit sich bringt. Wie es dazu kam, wie die Menschen bei beverage brewers damit umgehen, und wie cormens den Prozess begleitet, beleuchten wir in dieser Artikelserie.


Zentral ist bei jeder Veränderung, und bei dieser besonders, das Verhältnis von Kultur und Struktur. Denn der Weg, wie aus etwas Kulturarbeit eine Umstrukturierung wurde, lässt sich in einer Nussschale als hin und her zwischen Struktur und Kultur beschreiben. Es lohnt sich deshalb, den Einstieg etwas theoretischer zu halten und genauer zu betrachten, was hier unter Kultur und Struktur verstanden wird.

 

Laut Stefan Kühl von Metaplan lassen sich Kultur und Struktur nur gleichzeitig denken. Nicht nur Abteilungen und Berufsbezeichnungen sind Struktur, sondern die Kultur selbst zählt zu den Strukturen des Unternehmens: „[Organisationskultur] ist die informale Struktur eines Unternehmens. […] Es sind die Regelabweichungen, die häufig vorkommen […] – nicht das einmalige Improvisieren, sondern bewährte Trampelpfade.“[2] Er unterscheidet insofern weniger zwischen Kultur und Struktur, sondern zwischen informalen und formalen Strukturen. Das macht systematisch verständlich, warum sich eine Kultur nur in Abhängigkeit von einer formal gegebenen Struktur denken lässt: Trampelpfade können sich nur da etablieren, wo der Weg nicht versperrt ist. Eine neue Kultur kann insofern nie aufgrund ihres Funktionierens, durch ihr tatsächliches Etabliert sein formale Strukturen überwinden, sondern aufgrund ihres Potentials: Es wird versucht, eine Kultur zu erreichen, ihr Potential wird erkannt und für größer als die Risiken einer Erneuerung der formalen Struktur befunden.

 

Gleichzeitig bedeutet dieses Kultur- und Strukturverständnis, dass sich durchaus Kulturentwicklung denken lässt, ohne dass sich die konkreten Hierarchien oder die Unternehmensorganisation verändert. Man kann als Beraterin oder Berater Möglichkeiten aufzeigen, wie sich unterschiedlich mit denselben Bedingungen umgehen lässt.  Paradebeispiel dafür sind Kommunikationstrainings, die den Umgang der Kolleginnen und Kollegen untereinander verändern können, ohne, dass sich etwas an den Rahmenbedingungen ändert.

 

Eine Kultur als Netz von Trampelpfaden kann aber genauso beinhalten, wegen sinnloser Bürokratie regelmäßig in Wut auszubrechen. Hier nur einen anderen Umgang zu finden wird schwierig. Dieses Beispiel verdeutlicht allerdings, inwiefern Kühl Kultur als informale Struktur versteht: „Informaliät entsteht als Reaktion auf formale Entscheidungen“[3], etwa als Reaktion auf Bürokratie. Gleichzeitig würden „formale Entscheidungen […] als Reaktion auf Informalität getroffen“[4]: Die sinnlose Bürokratie sollte spätestens wegen regelmäßiger Wutausbrüche verändert werden.

Das klingt nun wenig revolutionär. Das Potential dieses Verständnisses ergibt sich erst, wie so häufig, bei genauerem Hinsehen: Kultur, verstanden als informale Strukturen, die durch Reaktionen auf formale Strukturen geprägt sind, kann nicht durch formale Entscheidungen entstehen. Sich ‚für eine neue Kultur zu entscheiden‘, ist deshalb schlicht nicht umsetzbar. „Wer versucht, Informales per Vorgabe zu ändern, bewegt sich immer auf der Ebene der Formalität.“[5]

 

Der Clou an Kühls Theorie ist, wie weit er Formalität fasst: Sie ist nicht nur die Hierarchie auf dem Papier, sondern es zählt auch eine Verschriftlichung von Kultur dazu. Die tatsächliche Kultur ist nicht, was irgendwo formuliert ist, sondern das, was konkret passiert. Durch neue Kommunikations- und Organisationsformen, etwa die Einführung von Scrum Masters und jour fixes, lässt sich so verstanden keine neue Kultur etablieren, sondern es werden neue Formalitäten geschaffen, die wiederum neue Informalitäten erzeugen – eine neue Kultur entsteht in Reaktion auf die genannten Maßnahmen, nicht unmittelbar dadurch. Und so eine Reaktion kann auch schlichte Verweigerung sein. Etabliert sich diese, ist eben das die neue Kultur.

 

Bei cormens wenden wir diese Erkenntnisse auch bei der Verwendung von Tools an. So verstehen wir Kulturveränderung nicht als Einführung neuer Methoden, sondern als Begleitung und Reflexion der Entstehung neuer Informalitäten.  An Methoden interessiert uns deshalb nicht nur, was das konkrete Ziel der Methode ist, sondern was die Methode mit den Menschen macht – wie viel Raum die Methode den Menschen eröffnet, um verschieden auf sie reagieren zu können, welche Impulse sie setzt. Es ist zwar nicht vorhersehbar, welche Wirkungen diese Impulse konkret haben werden, doch ihre Richtung und ihr Ausmaß lassen sich einschätzen. In der Tradition Luhmanns lässt sich deshalb auch von der Etablierung von Entscheidungsprämissen sprechen: Einige der Prämissen, bzw. Voraussetzungen, die (informalen) Entscheidungen zugrunde liegen, lassen sich durch (formale) Entscheidungen direkt beeinflussen – und damit die informalen Entscheidungen in eine bestimmte Richtung lenken.

 

Bei beverage brewers lassen sich so die anfänglichen Workshops nach zwei Aspekten differenzieren. Erstens wurde Zuhören und Kommunikation trainiert. Zweitens wurde Wertearbeit geleistet, wobei sowohl Unternehmenswerte als auch persönliche Werte der je Teilnehmenden ermittelt wurden. Die Kommunikationsaspekte etablieren keine neuen formalen Strukturen. Es wurde nicht vorgeschrieben, dass bei Sprechen und Zuhören in Zukunft diese und jene Regeln befolgt werden sollten. Das Training gab zwar Impulse für eine neue Kultur unter gegebenen Bedingungen, lief aber mangels neuer Formalitäten kaum Gefahr, mit bestehenden Formalitäten unvereinbar zu sein.

 

Anders sah es mit der Wertearbeit aus. Denn die Unternehmenswerte wurden festgehalten, und zwar mit dem Anspruch, ihnen auch gerecht zu werden. Das erzeugte Konflikte. Einmal theoretische: Werte können ihrem Prinzip nach mit bestimmten Organisationsformen inkompatibel sein. Ist ein Wert etwa Gleichberechtigung, wäre das schwerlich mit steilen Hierarchien zu vereinbaren. Auf der anderen Seite gibt es konkrete Konflikte: Die gelebte Kultur in einem Unternehmen kann unabhängig von der Organisationsform inkompatibel mit bestimmten Werten sein. Etwa der Wert des gegenseitigen Respekts mit systematischem Mobbing. Ob derartige konkrete Konflikte vorliegen, lässt sich unter anderem durch Befragung der Mitarbeitenden herausstellen.

 

Bei beverage brewers traten nun beide Arten von Konflikten auf. Die Umstrukturierung folgte neben theoretischen Bedenken vor allem auf das Feedback durch Mitarbeitende, demzufolge die neuen Unternehmenswerte im beruflichen Alltag nicht empfunden, nicht erfahren würden. Darauf adäquat zu reagieren ist eine Herausforderung. Und es ist unmittelbar eine Kulturfrage: Denn das Feedback war nicht mehr zurückzunehmen. Und die Art und Weise, wie darauf reagiert wird, ist präzise das, wovon man mit Kühl als Kultur sprechen kann. Denn die Reaktion ist informell, sie folgt keinen vorab festgelegten formalen Vorgaben. In den nächsten Artikeln zeigen wir auf, wie diese Reaktion profitabel für das ganze Unternehmen gestaltet werden konnte, sowohl hinsichtlich der Zielkultur als auch unternehmerisch.

Quelle:
Stefan Kühl 2018: Organisationskultur beeinflussen.

 

[1] Name geändert

 

[2] Kühl 2018:3

 

[3] Kühl 2018:2

 

[4] Ebd.

 

[5] Kühl 2018:5

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