Dezember 2021 Consulting

beverage brewers (Teil II/III): Unsinnig - Sinn kann man finden, nicht festlegen.

Kaum Liquidität oder strategische Freiräume und eine krisengeschüttelte Gesamtsituation: Ideale Bedingungen für eine umfangreiche Umstrukturierung! Nicht unbedingt. Andreas, der CEO des mittelständischen Familienunternehmens beverage brewers,[1]  fand sich schon vor Corona in einer solchen Situation. Heute, auf halbem Weg durch eine Umstrukturierung, macht die Firma bereits den besten Umsatz seit 10 Jahren. Während Andreas zusammen mit cormens die Monate unter dem Virus dazu nutzen konnte, immer mehr Fahrt aufzunehmen, versetzt diese entbehrliche Zeit viele andere Unternehmen in genau die beschriebene Ausgangslage. In diesem zweiten Artikel zu beverage brewers gehen wir deshalb auf die Hindernisse ein, die die Firma daran hinderten, ihr Potential zu entfalten.


Den Startschuss für den Aufschwung setzte Andreas, indem er cormens dafür engagierte, durch Wertearbeit eine gemeinsame Linie unter den Führungskräften zu etablieren – „alles Männer“, erwähnt er im Gespräch nebenbei. Dazu kam, dass er sich auf einem cormens-Seminar bei Sankt Gilgen vom Mehrwert der Themen Selbstführung und Wertearbeit überzeugen konnte. Wie viele andere CEOs sah auch er zunehmend die Möglichkeit schwinden, über alles im Unternehmen Bescheid zu wissen. Die Komplexität immer differenzierterer Anspruchsgruppen und Prozesse erlaubt es einzelnen Menschen kaum mehr, die Übersicht zu bewahren. Außerdem erlebte er den Unmut der Belegschaft über Bürokratie und Weisungspflichten. Nicht zuletzt wurde in Gesprächen und anhand vieler Krankheitstage klar, dass die Mitarbeitenden wenig eigenes Interesse am Erfolg des Unternehmens hatten, beziehungsweise kein entsprechendes Verantwortungsgefühl empfanden.


Keine gemeinsame Verantwortungsübernahme, lähmendes Sicherheitsdenken, hohe Komplexität: Das Potential von beverage brewers war dadurch enorm gebremst. Gerade Mittelständer haben gegenüber größeren Organisationen jedoch den Vorteil, weniger Pfadabhängigkeiten berücksichtigen zu müssen – ihre Strukturen lassen sich weit kosten- und nervengünstiger verändern, sie sind beweglicher. An genau diesem Vorteil knüpften cormens und beverage brewers bei der anfänglichen Kulturarbeit an. Neue Werte schön und gut, aber um diesen zu entsprechen und einen unternehmerischen Gewinn damit zu erzielen, muss mehr passieren.


Die Wertearbeit in Workshops auf Führungsebene war deshalb nur der erste Schritt. Im zweiten Schritt sollten die einzelnen Führungskräfte die Werte in selbst gehaltenen Workshops mit den Mitarbeitenden diskutieren, und erarbeiten, welche je individuellen Werte mit den gesetzten Unternehmenswerten in produktiven Einklang gebracht werden können. Gleichzeitig war das auch Gelegenheit, die Sicht der Mitarbeitenden auf den Stand der Umsetzung der Unternehmenswerte kennenzulernen. Und wenigstens in einem Fall klang das so: „Nach außen hui, nach innen pfui“. Hui. Das sitzt.


Dabei steht fest: Um Menschen, Werten und deren Interaktion gerecht zu werden, muss gerade negatives Feedback ernst genommen werden und zu Handlungen führen. Eine neue Kultur zu etablieren, heißt vorzuleben, wie mit verschiedenen Sichtweisen und Impulsen in Zukunft umgegangen werden soll. Gleichzeitig schließt Kultur, mit Kühl als Netz von Trampelpfaden verstanden, immer die Reflexion der Organisationsstruktur mit ein. Denn neue Trampelpfade können sich am besten durch Veränderung der Formalitäten etablieren. Während etwa steile Hierarchien es leichter machen, Feedback von Untergebenen zu ignorieren oder sanktionsfrei abwertendes Verhalten zu zeigen, werden solche Trampelpfade in flachen Hierarchien erschwert. Gleichzeitig erlauben flache Hierarchien neue Pfade durch mehr Kompetenzen und Verantwortung der Einzelnen. Uns geht es darum, das Potential neu ermöglichter Pfade zu realisieren.


Mit diesem Wissen zurück in die Führungsetage, nachdem das Feedback der Mitarbeitenden eingetroffen war: Intensive Diskussionen, Abstimmungen mit cormens, Vorschlag, Gegenvorschlag, Widerstand – Andreas: „Ich weiß nicht mehr, wie oft ich ‚das funktioniert nie bei beverage brewers!‘ eingeworfen habe“ und cormens dagegen: „Doch, das geht!“. Die Ausgangslage wurde problematisiert, es sei kein Freiraum für Veränderung da. Es sollte stattdessen Stabilität wiederhergestellt werden, Sicherheit. In Andreas‘ Worten: „Es gab Null geplante Organisationsentwicklung.“ Gleichzeitig wurde erlebt, dass frühere Kommunikationstrainings nur besucht und vergessen wurden, ohne nachhaltig Wirkung zu erzielen – sowohl für Unternehmen als auch für Beratende eine frustrierende Erfahrung. Bei beverage brewers zeigte sich das etwa darin, dass Führungskräfte die Arbeit an Werten trotz Zusage nicht in ihre Abteilungen gebracht hatten.


Andreas meint heute, dass so sehr er eine Veränderung damals wollte, er sich wohl alleine nicht getraut hätte. Doch gleichzeitig stand fest: Ohne Umstrukturierung könnten weder die Werte gelebt noch der mittelständische Vorteil größerer Beweglichkeit genutzt werden. Die Mitarbeitenden sollten durch die Struktur je mehr Verantwortung bekommen und sich weniger an bürokratischer Absicherung ihrer Tätigkeiten orientieren, damit nicht alle Komplexität vom CEO allein bewältigt werden muss. Vom Potential einer neuen Struktur überzeugt, wagte die Führungsetage von beverage brewers schließlich den Schritt in die Organisationsentwicklung.


Johannes von cormens sagt rückblickend schmunzelnd, dass der Einstieg in die Organisationsentwicklung „hoch agil“ vonstatten gegangen sei: Die Foki auf „Individuen und Interaktionen“ und auf das „Reagieren auf Veränderung“ finden sich wörtlich im agilen Manifest.[2] Ersteres war darin realisiert, beim Werte-Workshop nicht nur Werte für die Organisation zu identifizieren, sondern jede einzelne Person dazu zu motivieren, sich über die je persönlichen Werte klar zu werden. Auch jede einzelne Stimme der Mitarbeitenden zu hören, steht Zeuge für diese Ausrichtung. Als die Kritik einschlug, waren alle Beteiligten herausgefordert, auf die Veränderung zu reagieren. Und da Johannes Andreas‘ expliziten Wunsch ernst nahm, die Werte, die sich beverage brewers gegeben hat, auch in die Tat umzusetzen, forderte er ihn genau dazu heraus. Sein Vorgehen beschreibt Johannes wie folgt:

 

„Was nicht geht, ist als Berater mit Lösungen das Ding durchzuhauen. Von meinen anfänglichen Vorstellungen, wohin die Reise gehen könnte, musste ich mich verabschieden. Was ich gemacht habe, ist Alternativen vorzuschlagen – auch mal hartnäckiger, als mir lieb war, um zum Nachdenken aufzufordern. Es ging mir darum, dass sie [die Führungskräfte] sich trauen, scheinbar unerreichbare Zielvorstellungen einzubringen und vorbehaltlos zu durchdenken. Gefühlt war das vor allem eine Prozessverlangsamungsaufgabe.“

 

Wie erwähnt, hielt Andreas die Umstrukturierung zunächst für keinen gangbaren Weg. Nicht zuletzt erschwert etwa die Arbeit in Schichten, die in der Produktion vorherrscht, einige Selbstführungsansätze. Erst das Kennenlernen anderer Führungskräfte, die bereits Selbstführung etabliert hatten, der Austausch mit Johannes und nicht zuletzt die Lektüre zahlreicher Bücher ließen ihn sein Ziel eines kollegial geführten Unternehmens klar sehen.


Während eine sofortige Umstrukturierung des ganzen Unternehmens den Ressourcen nach nicht möglich war, etabliert beverage brewers nun Selbstführung nach und nach in den einzelnen Abteilungen. Und da Andreas einer dieser Abteilungen, dem Marketing, unmittelbar selbst vorstand, führte er sein Vorhaben in dieser prototypisch selbst durch. Als eine Folge dieses Schritts fand er sich jedoch gerade dort nicht wieder, worin er seine neue Rolle als CEO eines kollegialen Unternehmens sah: In Kreisen zu Personalführung, Mitarbeitergesprächen und Reflexionsrunden. Im dritten Artikel der Serie wird es um unerwartete Ergebnisse dieser Art gehen, sowie um die Bewältigung des weiteren Vorgehens.

 

[1] Name geändert

 

[2] Verschiedene Autoren, 2001: Manifest für Agile Softwareentwicklung
(https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html)

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