Juni 2021 AcademyConsulting

Ungesehen oder "das geht nicht weg"

Bisherige Analysen und Ratgeber zu Remote Work, Zoom Fatigue und Digital Leadership haben vor allem Führungspersonen und diejenigen Mitarbeitenden in den Fokus genommen, die mit der Situation noch schlecht zurechtkommen.[1] Gleichzeitig staut sich bei vielen der Mitarbeitenden, die immer einen guten Job machen und sich kaum beschweren – die „stille Mitte“, die die Leistungsbasis jeder Unternehmung stellen – eine zunehmende Erschöpfung auf. In über 50 Workshops zu Virtual Leadership mit ca. 1000 Führungskräften seit Beginn der Pandemie konnten wir feststellen, dass von immer weniger Beteiligung an digitalen Freizeitaktivitäten berichtet wird und allgemein von zunehmenden Schwierigkeiten, mit den Mitarbeitenden im Austausch zu bleiben.

 

Dieser erlebten Ablehnung von Gelegenheiten in Kontakt zu bleiben, stehen die Ergebnisse einer forsa Umfrage im Auftrag der Dekra augenscheinlich entgegen: Laut dieser fehle etwa jeder vierten Person im Homeoffice die Wahrnehmung durch Führungskräfte, über 70% vermissten den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen.[2] Sollten die Mitarbeitenden also nicht motiviert sein, an sozialen Aktivitäten digital teilzunehmen und den Kontakt zueinander zu suchen?

 

Diese Inkohärenz zwischen Bedürfnissen und Handlungen hat Gründe. Die Digitalisierung sozialer Treffen ist zweischneidig: Zum einen fallen Anreise und andere Umstände weg, sodass man sich leichter dazugesellen kann. Gleichzeitig ist es verknüpft mit größerem Spielraum zur Unverbindlichkeit – sich digital zu treffen wird weniger hoch gewertet als in Präsenz, sodass eine Abwesenheit auch weniger sozial sanktioniert wird. Dieser soziale Druck, etwa wenn Kolleg*innen mittags zu einem Restaurant gehen und man sich nicht als Einziger abseilen will, hat dabei eine wichtige Funktion: Er ersetzt den Ruck, an einer sozialen Situation teilzunehmen, den man sich zuhause selbst geben muss.

 

Und diesen Ruck müssten sich vor allem die durchschnittlich Leistungsfähigen selbst geben. Häufig werden nur die Leistungsstärkeren und -schwächeren von Führungskräften aktiv angesprochen und persönlich zur Teilnahme an Events aufgefordert. Ihre Leistungsbasis hingegen überlassen sie häufig sich selbst in der Entscheidung, anwesend zu sein oder nicht. Das ist gut gemeint und beweist Vertrauen, leistet jedoch einen Bärendienst. Denn dadurch wird den Konsequenzen des Homeoffice, vor denen u.a. die DAK bereits Ende 2020 warnte, nichts entgegengesetzt: „Für fast zwei Drittel verschwimmt die Grenze zwischen Job und Privatem stärker und für fast die Hälfte erschwert sich die Arbeit wegen der fehlenden direkten Kontakte zu Kollegen.“[3] Im Februar 2021 kam die Quittung: Im ersten Coronajahr erreichten psychische Erkrankungen einen neuen Höchststand.[4] Laut Microsoft fühlen sich wegen Corona 54% der Arbeitnehmenden überarbeitet und 39% erschöpft.[5] Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit, bestätigt diese Ergebnisse für Deutschland, und damit auch unsere Einschätzung, dass der soziale Ausgleich im Homeoffice noch dringlicher wäre, als in Präsenz: „In vielen Branchen steigt die Arbeitsdichte. Wir sehen eine höhere Anspannung im Allgemeinen“.[6]

 

Menschen der Leistungsbasis werden mit dieser zunehmenden Belastung und ihren psychischen Problemen allein gelassen. Sie sind es gewohnt, allein zurecht zu kommen und selbständig die Leistung zu erbringen, die von ihnen erwartet wird. Mögliche Schuldgefühle, die entstehen, wenn sie diese Leistung aufgrund zunehmender Belastung durch die gesamtgesellschaftliche Situation nicht mehr bringen können, oder nur noch mit deutlichem Mehraufwand, bleiben im Verborgenen. Sie wissen von sich, dass sie Leistung bringen können, und wollen womöglich keine Schwäche zeigen, indem sie Aufmerksamkeit oder Hilfe aktiv einforderten. Es ist Aufgabe der Führungskräfte, dafür zu sorgen, dass den Mitarbeitenden ihr Leistungswillen nicht zum Verhängnis wird:

 

  • Gehen Sie aktiv auf alle Ihre Mitarbeitenden zu und fragen Sie sie nach Ihrer Befindlichkeit.
  • Sprechen Sie an, dass die zusätzliche Belastung durch Entgrenzung und Isolation ein echtes Problem darstellt.
  • Lassen Sie nicht zu, dass die Menschen ihre eigenen Probleme herunterspielen!

 

Denn wer sich nicht eingestehen will, überfordert zu sein, weil sie oder er viel schwerer belastete Menschen kennt, ist auf bestem Weg in eine Krise.

 

Abgesehen davon gibt es Möglichkeiten, im digitalen Alltag wieder mehr erfüllende soziale Interaktion zu etablieren. Wenn sich auch der direkte Kontakt, ein privater Austausch im Büro, der Plausch am Heißgetränk oder eine Umarmung zur Begrüßung nie ganz ersetzen lässt, konnten wir inzwischen doch einige Vorschläge zusammenstellen, wie Sie das Arbeiten im Homeoffice für alle Ihre Mitarbeitenden wieder gemeinschaftlicher gestalten können:

 

  1. Lassen Sie die Verantwortung, an sozialen Events teilzunehmen, nicht allein bei den Mitarbeitenden! Weil wir alle derzeit so viel Zeit vor Bildschirmen verbringen, sind viele kaum motiviert, das auch in ihrer Freizeit zu tun. Das ist aber nur entscheidend für die Anschubenergie: Sobald das Gespräch mit geschätzten Kolleginnen und Kollegen bei einem Kaffee oder einem abendlichen Getränk erst einmal begonnen hat, kann viel des vermissten Austausches kompensiert werden. Das lässt sich besonders entspannt handhaben, wenn man Plattformen wie gather.town oder wonder.me nutzt (aufgrund von Datensicherheitsbedenken ggf. unter Verwendung privater E-Mail Adressen oder Rechner): Hier können sich die Mitarbeitenden auf verschiedene Orte verteilen und zwanglos zwischen diesen wechseln. Und damit sind wir beim zweiten Tipp:
  2. Geben Sie Anregungen zum Gespräch! Eine nette Frage oder kleine Aufträge für Kleingruppen wirken oft Wunder. Auch lohnt es sich, ganz analog zur analogen Feier, die Tischnachbarn, bzw. Gesprächspartner*innen ab und an rotieren zu lassen. Wir haben erlebt, dass das für kleine ebenso wie große Gruppen gut funktionieren kann. Die Zahl möglicher sozialer Interaktionen schießt ab fünf Personen allerdings in die Höhe, was für manche ein Stressfaktor sein kann.[7] Und zu guter Letzt:
  3. Begrenzen Sie die Zeit der Sessions! Zwei Stunden sind die Obergrenze für einzelne Treffen. Das gilt digital auch für Freizeit (ausgenommen Weihnachtsfeiern o.Ä.). Selbst, wenn Mitarbeitende nach zwei Stunden noch Redebedarf haben, kann es sinnvoll sein, das Treffen offiziell zu beenden. Denn aufzuhören, wenn es am schönsten ist, lässt nicht nur erfrischt vom Bildschirm aufstehen, sondern schafft auch Motivation für ein nächstes Treffen.

 

 

Die Herausforderungen der Coronazeit sind noch nicht vorüber und einige werden erst allmählich sichtbar. Es ist wichtiger denn je für Führungskräfte, das Miteinander aktiv zu gestalten – und schwieriger denn je, niemanden aus den Augen zu verlieren.

[1] Vgl. etwa den Work Trend Index 2021 von Microsoft: https://ms-worklab.azureedge.net/files/reports/hybridWork/pdf/2021_Microsoft_WTI_Report_March.pdf

 

[2] https://www.dekra.de/de/homeoffice-fluch-segen-asr2021

 

[3] https://www.dak.de/dak/landesthemen/studie-homeoffice-2401564.html

 

[4] Vgl. https://www.dak.de/dak/bundesthemen/krankenstand-2020-2424242.html

 

[5] Vgl. Microsoft 2021 Work Trend Index: S. 8

 

[6] Ebd.

 

[7] Im Arbeitskontext wird sieben meist als ideale Gruppengröße genannt (vgl. u.a. Blenko, Mankins und Rogers 2010: https://hbr.org/2010/06/the-decision-driven-organization).

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