Dezember 2021 Consulting

beverage brewers (Teil III/III): Unerwartet - Werten Taten folgen lassen.

Beverage brewers ließ Werten Taten folgen: Den neu gesetzten Werten und dem Echo der Mitarbeitenden war nur durch Organisationsentwicklung gerecht zu werden. Von da an überschlugen sich die Ereignisse. Da Umstrukturierung ursprünglich nicht geplant war, gab es zu Beginn des Veränderungsprozesses keine „road map“ oder Ähnliches. Es eröffnen sich deshalb einige ungewohnte Perspektiven, den Weg der Veränderung und seine Stolpersteine nachzuverfolgen.

 

Der letzte Artikel schloss damit, dass Andreas, CEO von beverage brewers, im Zuge der Etablierung von Selbstführung der Marketing-Abteilung überraschend mehr Kompetenzen einbüßte, als erwartet. Das klingt zunächst abschreckend. Wer verliert schon gerne Kompetenzen – geschweige denn überraschend? In diesem Hereinbrechen des Unerwarteten steckt hingegen gerade das, was Andreas sich gewünscht hatte. Es war ihm ein Anliegen, dass die Marketing-Abteilung, der er selbst direkt vorstand, den Prozess zur Selbstführung mit cormens alleine machen sollte. Er ging zwar davon aus, dass er danach weiterhin von den Mitgliedern der Marketingabteilung in die Kreise zur Personalentwicklung miteinbezogen würde, doch das blieb aus. Für ihn war das hinnehmbar, denn solche unerwarteten Resultate der erhofften Selbständigkeit ließen sich mit dem Verabschieden eines Kindes in die Welt vergleichen: Es stellt sich eine Mischung aus Stolz und Trauer ein. Die alte Hierarchie ist im Bild des Kindes noch enthalten. Die Eltern ermöglichen ihren Kindern ein selbständiges Leben, können das aber eben nur durch ihre Rolle als Eltern tun. Gleichzeitig ist das Bild nicht so paternalistisch, wie es dadurch wirken mag. Denn es geht gerade darum, dass man sich als CEO, wie als Eltern, von der eigenen alten Rolle verabschieden muss. Das Gefühl ist vielleicht noch das der alten Rolle, doch der Auslöser, die Selbständigkeit des Gegenübers, ist von dieser Rolle bereits unabhängig.


Der plötzliche Verlust zentraler Kompetenzen hinderte Andreas nicht daran, unmittelbar mit der Umstrukturierung fortzufahren. Denn so schmerzhaft die Trennung war, so sehr war sie doch Zeichen des Erfolgs zunehmender Selbstführung. Schon zwei Tage, nachdem die Rollen im Marketing feststanden, beauftragte er cormens damit, in zwei weiteren Abteilungen Selbstführung einzuführen. In einer von diesen hatte die Führungskraft gekündigt und die andere wünschte sich eine Veränderung. Dadurch boten sich die beiden Abteilungen für die Transformation an. Eine solche Entwicklung mag bei anderen Firmen länger dauern, denn ein Aspekt der Selbstführung ist besonders schwer gerecht umzusetzen: Führungsrollen ändern sich radikal. Die Führungskraft, die gegangen war, hatte gerade diesen Aspekt zum Anlass ihres Ausstiegs genommen. Sie war enorm leistungsorientiert, hatte dementsprechend auch sehr gute Leistungen geliefert und verlangte dasselbe von ihren Mitarbeitenden. Mit dem Kurs in Richtung Selbstführung war ihr bald klar, dass sie nicht mehr die Weisungshoheit über die Leistungserbringung der Mitarbeitenden haben würde und dass ein hierarchischer Aufstieg im Unternehmen kaum mehr möglich war. Im Unternehmen zu bleiben kam für sie dadurch nicht mehr in Frage.


Solche Herausforderungen sind vielschichtig. Der Führungsstil dieser Führungskraft hatte etwa auch Auswirkungen auf die Mitarbeitenden. Da sie klare Ansagen dazu gewohnt waren, was von wem zu tun sei, hatten die Mitarbeitenden wenig Erfahrung damit, selbst Verantwortung zu übernehmen. Entsprechend unangenehm war es, als die Führungskraft nicht mehr da war und es keine Weisungen mehr gab. Der Prozess zur Selbstführung sollte deshalb baldmöglichst durchgeführt werden. Cormens stand deshalb vor der Herausforderung, ein so umfassendes Projekt „noch schnell unterzubringen.“ Es wurde sich darauf geeinigt, es wenigstens zu probieren.


Der überstürzte Prozess erfüllte zwar seinen Zweck, doch überforderte es die Mitarbeitenden auch. Von jetzt auf gleich sollte alles, was sie gewohnt waren, umgeworfen werden. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Wertearbeit, die die Führungskräfte in ihre Abteilungen bringen sollten, hier kaum stattgefunden hatte. Von Selbstführung hatten die Mitarbeitenden deshalb noch kaum je etwas gehört. Und plötzlich standen sie vor dem Anspruch, den Laden gewissermaßen alleine zu schmeißen.


Die Situation wurde noch dadurch verschärft, dass es Mitarbeitende gab, die eine Abteilung gerade aus dem Grund gewählt hatten, dass sie weniger Verantwortung haben wollten. Das ist zunächst eine legitime Präferenz. Gleichzeitig ist es die gegenteilige Haltung zu der, um die es bei Selbstführung geht. Johannes denkt deswegen laut darüber nach, ob ein solcher Prozess überhaupt möglich sei, ohne die Teilnehmenden wenigstens ein bisschen zu überfordern. Neue Trampelpfade zu trampeln ist Arbeit.


Das Problem, den legitimen Wunsch nach Verantwortungsabgabe zu ernstzunehmen, ist nicht zu unterschätzen. Es gibt zwar Platz dafür, da die Einteilung nach Rollen und Kreisen genug Spielraum lässt, damit einzelne die Entscheidungen überwiegend den anderen überlassen können. Gleichzeitig muss es aber der Einzelfall bleiben. Frühere Führungskräfte oder Mitarbeitende mit Führungsambitionen könnten sonst ohne weiteres eine Reihe zentraler Rollen einnehmen und somit effektiv wieder Führungskräfte werden. Das muss vermieden werden um in einer Abteilung die Kultur weg vom Folgen einer Führungskraft, hin zu kollegialer Führung zu entwickeln. Bei beverage brewers wurde deshalb der „Strukturkreis“ etabliert, der darauf achtet, dass aus den neuen Rollen nicht wieder alte Strukturen entstehen. Nach der Erfahrung, dass die Mitarbeitenden im Unternehmen teils noch wenig auf die neuen Werte und die Veränderung, die diese erfordern würden, eingestellt waren, veränderten Andreas und cormens ihr Vorgehen für die weiteren Abteilungen. Es wurden Freiwillige angefragt, die Lust haben, an der Umstrukturierung ihrer Abteilung beteiligt zu sein. Diese erarbeiten seither in Teams eine für ihre Abteilung am besten geeignete Lösung und organisieren auch die Kommunikation an ihre Kolleginnen und Kollegen selbst. Damit diese Entwicklung noch mehr diejenige des Unternehmens selbst ist, hält sich cormens zunehmend zurück, während Andreas selbst die Veränderung zu managen versucht.


Dieses Vorgehen lässt sich für verschiedenste Unternehmen adaptieren, lässt das Verantwortungsgefühl im Unternehmen selbst, stärkt die Autonomie der Mitarbeitenden und schöpft aus deren Kompetenz und Kenntnis der Abläufe und Notwendigkeiten. Insbesondere wird es einer zentralen Überzeugung von cormens gerecht: Veränderung funktioniert nicht als Übergang von einem stabilen Zustand zum nächsten, sondern ist eine fortwährende Aufgabe. Und diese muss auch ohne Berater bewältigt werden können. Cormens dient deshalb inzwischen mehr als Andreas’ Coach für dessen Veränderungsmanagement und als Mitdenker in manchen Kreisen mit gelegentlichen Inputs zu Kommunikation und Moderation.


Andreas ist mit dieser Entwicklung sehr zufrieden. Er erzählt, dass er merkt, wie die Werte immer mehr Fuß fassen und sich auf verschiedenen Ebenen konkret zeigen. Oben wurden bereits die Veränderungen auf organisationaler Ebene verdeutlicht. Auf Teamebene hatten früher viele die Check-Ins, in denen sie je zu zweit über ihre Emotionen sprechen, noch als albern abgetan. Heute kommt es vor, dass ein Tagesworkshop vollständig auf einem Impuls aus dem morgendlichen Check-In aufbaut. Denn die Mitarbeitenden erkennen, dass sich darin teils die Probleme offenbaren, die ein Team oder eine Abteilung gerade am meisten vom effektiven Arbeiten abhalten. Selbst auf individueller Ebene seien bemerkenswerte Veränderungen zu beobachten. So habe vor kurzem eine Mitarbeiterin, die anfangs dem ganzen Fokus auf das Soziale höchst skeptisch gegenüberstand, erzählt, dass sie sich „einfach so“ neben eine traurig wirkende Person im Bus gesetzt und sie gefragt habe, ob sie reden wolle.


Der Weg ist noch nicht zu Ende gegangen. Es wird sich noch zeigen, was die geeignete Organisationsform für das gesamte Unternehmen ist. Denn es stehen noch einige Herausforderungen an: Wie kann sich eine Abteilung, deren Aufgabe es ist, „alle Gefahren vom Unternehmen abzuhalten“, auf radikale Änderungen ihres Alltags einlassen? Wie garantiert man hinreichende Kommunikation in Produktionsteams, die in Schichten arbeiten und deshalb kaum überschneidende Arbeitszeiten haben? Und wie gestaltet sich der Kontakt zwischen kollegial geführter Firma und hierarchisch gesteuerten Zulieferern oder Abnehmern? Da sich durch die bisherigen Maßnahmen der Unternehmenserfolg allerdings deutlich gesteigert hat, gibt es inzwischen mehr denn je Ressourcen und Zuversicht, diese Herausforderungen zu bewältigen. Es ist noch viel zu lernen – und immer neu zu verstehen.

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